Der Flug ist weg. Mein Flug ist weg. Ohne mich?! Ich stand doch hier und habe gewartet. Die ganze Zeit!! Ballons, Willkommenstorte, Abschiedstränen, ich fühle wie ich falle, ganz tief. Alles dreht sich, ich sehe Menschen, meine Freunde, die neuen und die alten, alles dreht sich im Kreis. Mein Herz tut weh, mein Hals schnürt sich zu. Ich sehe wie die Frau die Lippen bewegt. Spricht sie mit mir? Wirre Gedanken schwirren in meinem Kopf herum. Mir ist schwindelig, meine Knie sind weich. Ich stehe nur da. Ich sehe wie meine zwei großen, roten Koffer mit je 32 Kilo im Flugzeugbauch verscharrt sind unter hunderten von anderen Koffern, deren Besitzer im Flugzeug sitzen und sich auf die 12 Stunden Flug vorbereiten. Meine Koffer! Alles was ich habe, mein Leben, meine letzten 10 Monate sind drin! Ich falle immer noch. Meine Vergangenheit, mein Haus, meine Familie wirbeln an mir vorbei. Das neue Land, indem ich die letzten Monate verbracht habe, die Menschen und Orte die nun ein Teil von mir sind, alles dreht sich mit. Wie ein Blatt im Wind. Ohne Halt, ohne Richtung, ohne irgendeine Ahnung stehe ich am Flughafen und schaue die Frau an, die mir sagt, der Flug ist weg. Mein Flug ist weg. Ohne mich.
Wochenlang habe ich überlegt, geh ich zurück? Bleibe ich hier? Was wird aus uns? Kommt er nach? Verlieren wir uns? Nach wochenlangem Grübeln und unzählbaren Gesprächen mit allen die mir zuhören wollten oder nicht, hatte ich die Entscheidung getroffen zurückzugehen. Zurück zu meiner Familie, meinen Plänen, meinem Land. Zurück zu meiner Zukunft. Ich wollte an die Uni, Sprachen studieren. Deswegen war ich ja hergekommen, um die Sprache zu lernen und danach an die Uni gehen zu können. Abi in der Tasche, Reiselust und ein paar Tausend Euro hatten es mir damals einfach gemacht. Mein Vorhaben hätte auch wunderbar funktioniert. So ist das, habe ich inzwischen gelernt. Man macht Pläne und das Leben gibt einem einen Arschtritt. Zack! Hier bleibst du nicht! Haha, so stellst du dir das vor? Nö! Wird nix! Ich verstehe, das klingt alles sehr nach Klischee: Junge Deutsche reist in ein fremdes Land und lernt die Liebe ihres Lebens kennen. Siehe weiße Massai (In dem Fall war`s ne Schweizerin, aber in Sachen Romantik sind wir da sowieso gleich). Oder Tausend andere schnulzige Geschichten. Fakt ist, solche Sachen passieren. Und in echt fühlt sich alles sehr dramatisch an.
Zum Beispiel, hatte ich eine Abschiedsparty geplant, nachdem ich es endlich geschafft hatte bei dieser bescheuerten Airline einen Flug zu buchen. War alles nicht so einfach. Die Airline steckte anscheinend in irgendeiner Krise, die mir ziemlich egal war. Bald würde ich eine Krise kriegen, wenn ich kein Ticket bekäme. Ich wollte es endlich hinter mich bringen, mich von meiner neuen großen Liebe geographisch zu trennen. Also, nach 3 Tagen Dauerstreit mit irgendwelchen unverschämten Angestellten dieser Airline hatte ich ein Ticket. Die Abschiedsparty war in einem Irish Pub, sehr angesagt und beliebt für Abschiedspartys. Es war zu der Zeit sehr modern für die jungen Leute der Mittelschicht für eine Weile ins Ausland zu gehen. Es gab also öfter Abschiedspartys in diesem Irish Pub, dessen Besitzer eigentlich aus Nordirland kam, also ein Brite war. Viele gingen ja auch wirklich nach Irland oder England (was hier nicht wirklich groß unterschieden wird). In diesem Pub konnte man die Lounge mieten, mit breiten, abgenutzten Ledersofas und nem urigen Holztisch in der Mitte. Gleich daneben: die Bar und der Billiardtisch. Sehr gediegen. Hab ich dann gemietet. Ich habe mich sehr gefreut, dass so viele Leute gekommen sind. Die ständigen Fragen, wie es denn weitergehen würde, ob wir zusammenbleiben wollten, wer denn wohin ziehen würde, machten mir aber schwer zu schaffen.
Ich kannte ihn erst seit 8 Monaten, konnte mir aber seltsamerweise ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Ich fragte mich sowieso, wie ich es geschafft hatte ohne ihn solange auf der Welt zu sein. Plötzlich kam mir der Gedanke, dass ich sein Leben kannte, seine Familie, seine Freunde, sein Zuhause. Aber er kannte nichts von mir. Er konnte meine Sprache nicht, hatte keine Ahnung wer meine Familie, geschweige denn wie mein Zuhause war. Er hatte noch nie Schnee gesehen oder Brezel gegessen und mit Fasching, Weihnachtsmärkten oder “Betreten-Verboten-Schildern” konnte er erst recht nichts anfangen. Würde das gut gehen? Würde ich ihm noch gefallen, nachdem er das alles kennengelernt hatte? Bin ich in meiner Heimat eine ganz andere Person? Wie würde er sich fühlen, in einem kalten Land, wo alle leise reden und er sowieso kein Wort versteht? Das alles ging mir durch den Kopf, als plötzlich ein Freund von mir an meiner Schulter zieht. Er zieht so fest, dass ich vom Sofa falle. Ich höre Schreie und spüre etwas auf meinen Haaren. Dieser Freund, Ezequiel, hält meinen Kopf und drückt mich auf den Boden. Was sich wie eine verwirrende Ewigkeit anfühlte, kann höchstens 30 Sekunden gedauert haben. Als ich mich aufrappele, verstehe ich. Das Dach ist eingestürzt! Genau da, wo ich auf dem gediegenen Sofa saß, ist das Dach eingestürzt. Es liegt Schutt auf dem Sofa, Gipsplatten, Ziegel und Staub. Ein großes Loch ragt an der Zimmerdecke und man sieht den Vollmond.
Schlechtes Omen. Ich hätte es wissen müssen. Seit ich das Ticket gebucht hatte, lief alles schief. Sogar nie gesehene schwarze Katzen liefen mir über den Weg. Ich habe meinen kleinen Spiegel zerbochen, den ich wie jede Frau hier in meiner Tasche ständig bei mir trug. Und auf der Abschiedsparty war das Dach eingestürzt. Zum Glück hatte sich keiner verletzt. Ein Wink des Schicksals? Eine Warnung? Eigentlich war ich nie abergläubisch, aber nach einer Reihe von Dingen die mir passiert waren, ertappte ich mich dabei, wie ich bekannte Unglückbringer zu vermeiden versuchte.
Also, stand ich zitternd am Flughafen und starrte die Frau an. Was mache ich jetzt? Ich gehe zurück zum Schalter. Schaue verwirrt auf die ganzen Schalternummern und beschließe, meinen Freund anzurufen. Ich kann es nicht fassen, dass ich noch hier bin. Mir kommt es vor als würde ich irgendwo in der Luft hängen ohne festem Boden unter den Füßen. Also, irgendwie so, als ob mein Körper zwar hier stehen würde, aber meine Seele im Flugzeug baumelte. Mit meinem kleinen Rollkoffer, schaffe ich es irgendwie zu einer Telefonkabine. Hier sind es ja eigentlich keine Kabinen, sondern nur ein Telefon mit einem runden Dach darüber. Ich wähle seine Handynummer 99190344. Mit zitternden Händen klammere ich mich an den Hörer und, als ich seine weiche Stimme höre, sage ich mit brüchiger Stimme: Felipe? Kommst du bitte zum Flughafen?
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